Sie haben ganz schön lange gefeiert. Schließlich war Silvester, und das neue Jahr sollte angemessen begrüßt werden. Doch jetzt, ein paar Stunden später, brauchen Opa und meine Cousine vor allem Kaffee.


Schwarz, tiefschwarz muss er sein. Foto: Uli Rentzsch

Als ich am Neujahrsmorgen in den Wintergarten kam, saß Opa bereits am Tisch. Das Camenbertbrot vor ihm, die dampfende Tasse Kaffee auch, die Finas in unmittelbarer Reichweite. „Wie lange habt ihr noch gefeiert?“ Kurz nach drei. Knappe Antwort. Es war offensichtlich: Opa brauchte nicht nur eine Tasse Kaffee an diesem Morgen. „Aber warum feiert ihr gerade am 31. Dezember, es könnte doch auch der 18. September sein?“ Tatsächlich, meinte mein Opa, es gebe da eine Bar in Los Angeles, da werde an jedem Tag Silvester gefeiert. Oder war es doch San Francisco? Egal, sagte Opa. Die machten es jedenfalls richtig. Es sei schließlich völlig Wurscht, wann ein neues Jahr … Meine Cousine stolperte fast in den Wintergarten. Haare ein wenig zerzaust, Schlafanzug zerknittert. Kaffee, sagte sie, ich brauch Kaffee.

Und jetzt? Alle sagen „frohes, neues Jahr“ und „alles Gute“. Könnte man, glaubte ich Opa, jeden Tag sagen. Und jetzt? Was ich sah, war, dass Opa und Cousine mächtig müde waren. Schon am ersten Tag des Jahres. Mannomann. „Habt ihr Euch etwas vorgenommen, oder wollt ihr etwas ändern?”, fragte ich. Opa und Cousine schauten sich an. Beide wollten wohl sagen: Was will der denn, dieser Dreikäsehoch? Aber ich gehörte zur Familie, also ließen sie mich in Ruhe. Ich sie aber nicht.

„Warum schlagen die Menschendenn Weihnachtsbäume ab, obwohl alle wissen, dass Bäume wichtig für uns sind?“, fragte ich. Isso, sagte meine Cousine. Opa dachte nach. Verrückt, was?, meinte er. Dann sagte er – ich bekomme es nicht mehr richtig zusammen – der ganze Mist habe begonnen, als die Menschen sesshaft wurden. Vorher habe ihnen die ganze Welt gehört, dann nur noch ein kleines Plätzchen. Aber der Mensch sagte damals „das ist meins“. Opa seufzte. Und dann gab es Streit. Weil der eine sagte „meins“ , und der andere sagte „nein, meins“. Man habe sich immer wieder auf den Kopf gehauen, solange, bis einer zweimal meins hatte.

Aber das hatte natürlich nichts mit der Frage zu tun, ob Opa im neuen Jahr mit Rauchen aufhören wollte. Das war unmöglich, das ahnte ich nicht nur, das wusste ich. Und Opa hatte schon so viele Fußballspiele bestritten, dass er nun wirklich nicht mehr in der Frühe aufstehen wollte, um einmal ums große Karree zu laufen. Tasse Kaffee am Morgen reicht völlig aus. Da brauchte es keinen Vorsatz.

Das halte sowieso keiner durch, meinte meine Cousine. Schließlich gebe es Gewohnheiten. Und wenn die sich erst einmal festgesetzt hätten, quasi implantiert im Hirn, dann sei es zu spät für Veränderung. Opa nickte. Er halte es lieber mit Taten, sagte er. Zum Beispiel den Zaun streichen, der falle ja fast um. Den langen Ast am Birnbaum stützen, wer wisse schon, wann der nächste Sturm zu stark für Birnbaumäste sei. Schuppen aufräumen. Gleich dahinter sammelte Opa das Regenwasser in einer alten Badewanne. Die könnte auch mal sauber gemacht werden. Sonst kämen noch die Frösche. „Oh, kann ich dabei sein und helfen?“, fragte ich. Ja, ja, aber nicht heute, heute nicht. Heute sei Neujahr, heute gäbe es hoffentlich genug Kaffee und nachher mit der ganzen Familie ein Stück Blechkuchen dazu. Wenn sie denn vor dem Nachmittag noch wach werden, meinte Opa.

Und heute wünschen wir allen Menschen viel Glück und Gesundheit und Gelassenheit und Geld, sagte Opa und schmunzelte. Das seien die vier großen Gs. Die big fives brauche ich nicht. Nur die vier großen Gs. Die solle ich mir unbedingt merken. Meine Cousine und Opa gossen sich noch eine Tasse Kaffee ein, stützten fast gleichzeitig das Kinn auf die Hand und schlossen kurz die Augen. Das tut gut, dachten die beiden im gleichen Moment.